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//71// Dadurch wird nun dem Dogmatismus aller Vorwand benommen. Selbst die Gefühle können nicht von außen in uns hineinkommen, sie wären nichts für uns, wenn sie nicht in uns wären. Soll es Gefühle für uns geben, so wird das System aller Gefühle a priori vorausgesetzt.

7. Das System der Sensibilität als solches wird nicht gefühlt, jedes Gefühl, das bekannt sein soll, muss vorkom-men als ein besonderes. Für die Möglichkeit des Zweckbegriffs müssen daher schon mehrere Gefühle da sein, es muss schon etwas wirklich gefühlt worden sein. Z. B. ein besonderer Geruch und Geschmack, den ich noch nicht hatte, kommt vor als ein besonderer; wenn dieser Geruch oder Geschmack mir nicht vorgekommen wä-re, so hätte ich ihn nicht ausdenken können, indem ich in das System der Gefühle hineingegangen wäre. Er liegt im System, soll er aber für mich vorkommen, so muss er besonders vorkommen.

Wie kann nun das Gefühl Gegenstand eines Begriffs werden? Bei der Anschauung wird eine Realität vorausgesetzt, aber beim Fühlen nicht, das Fühlen ist selbst die Realität, die vorkommt. Ich fühle nicht etwas, sondern ich fühle mich. -

Welches ist nun der Übergang vom Gefühl zur Anschauung? Ich kann kein Gefühl anschauen, außer in mir. Soll ich ein Gefühl anschauen, so muss ich doch fühlend sein. Es wird schlechthin reflektiert. Das Ich erhebt durch eine neue Reflexion, die mit absoluter Freiheit geschieht, sich über sich selbst, sich, das Anschauende, über sich, in wiefern es fühlend wird, es wird dadurch selbstständig.

Woher nun der Stoff für die freie Wahl komme, ist erörtert worden.


§ 6 [Zusammenfassung] 

Eine freie Handlung ist (§4) nur möglich nach einem frei entworfenen Begriff von ihr, sonach müsste die freie Intelligenz vor aller Handlung vorher eine Kenntnis von den Handlungsmöglichkeiten haben. Eine solche Kenntnis lässt sich nur dadurch erklären, dass dem Ich vor aller Handlung vorher ein Trieb beiwohne, in welchem eben darum, weil er nur //72// Trieb ist, die innere Tätigkeit desselben beschränkt sei. 

Da dem Ich nicht zukommt, als was es sich nicht setze, so muss es diese Beschränkung setzen, und so etwas nennt man ein Gefühl. Da durch die Freiheit gewählt werden soll, muss es ein Mannigfaltiges von Gefühlen geben, welches nur durch seine Beziehung auf das gleichfalls notwendige ursprünglich vorhandene System der Gefühle überhaupt unterscheidbar sein kann.
Nota
 - Verstehe ich es so richtig: Anzunehmen sei ein Trieb, der auf ein Mannigfaltiges von Widerständen stößt und somit ein Mannigfaltiges von Gefühlen möglich macht, die es dem Ich erlaubt, zwischen verschiedenen Handlungsmöglichkeiten eine Auswahl zu treffen - ? Der Widerstand wird ein solcher erst, indem die reale Tätigkeit mit dem Objekt synthetisiert und diese Synthese Gegenstand der idealen Tätigkeit=Anschauung wird; diese neue Synthese ist Gefühl
 JE
Confer compendium.

Als das Höchste und Erste im Menschen wird sowohl in der alten* als neuen** Bearbeitung das Streben oder der Trieb angenommen.

Gegenwärtig wird vom unmittelbaren Objekte des Bewusstseins, von der Freiheit, ausgegangen und die Bedingungen derselben aufgesucht. Die freie Handlung ist das Wesentlichste unsrer Untersuchung. In der ehemaligen Behandlung wurde die freie Handlung, das Streben und der Trieb nur gebraucht als Erklärungsgrund der Vorstellungen und der Intelligenz, welches dort der Hauptzweck der Untersuchung war. In der gegenwärtigen Behandlung ist das Praktische unmittelbar Objekt, und aus ihm wird das Theoretische abgeleitet, so wie ferner in ihr mehr der Gang der Synthesis, in jener aber mehr der Gang der Analysis herrscht.

Ideales und Reales liegt nebeneinander und bleiben immer abgesondert. Im Buche* ist zuförderst das erste bestimmt und das zweite von ihm abgeleitet. Hier** wird umgekehrt mit dem Praktischen angefangen und dies wird abgesondert, so lange es abgesondert ist und nicht mit dem Theoretischen in Beziehung steht. Sobald aber beide zusammenfallen, werden sie beide miteinander abgehandelt. Somit fällt die im Buche in den theoretischen und den praktischen Teil gemachte Einteilung hier weg. 

In beiden Darstellungen wird ausgegangen von einer Wechselbestimmuung des Ich und NichtIch.
*) Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre    **) Wissenschaftslehre nova methodo



§ 7

Die Hauptfrage ist: Wie kann das Ich, da alles sein Bewusstsein Bewusstsein freier Tätigkeit ist, sich seiner freien Tätigkeit bewusst werden. -

Wir wissen, das ich muss vor allen Dingen sich einen Begriff seiner Tätigkeit entwerfen, einen Zweckbegriff; es muss ihm ein Mannigfaltiges für die Wahl durch Freiheit gegeben werden, dies wird ihm gegeben im Gefühl. Wir hätten dem-//77//nach den materialen Teil der Frage beantwortet, nämlich dem Ich einen Stoff gegeben, aus dem es seinen Begriff entwirft. Aber der formale Teil der Frage ist noch nicht beantwortet. Wie setzt das Ich aus dem Mannigfaltigen des Gefühls den Zweckbegriff zusammen?


1) Das für die Selbstbestimmung entworfene und zu entwerfenden ist ein Begriff, sonach Objekt der idealen oder anschauenden Tätigkeit. Nun ist es der Charakter der idealen Tätigkeit, dass ihr ein von ihr unabhängiges Vorhandensein außer ihr gegeben werde; und dadurch unterscheidet sie sich vom Gefühle, in welchem Ideales und Reales eins ist. Die ideale Tätigkeit hat notwendig ein Objekt außer sich, das sie fixiert. Hier ist die Rede von einem Zweckbegriffe, hier soll das Objekt nicht gegenwärtig, in dem der Begriff entworfen wird, existieren, aber es soll doch sein etwas existieren Könnendes und zufolge des Zweckbegriffs auch existieren Sollendes. Man abstrahiere auch davon, so bleibt doch immer noch ein Objekt der Vorstellung. Wir haben hier die eigentliche Objektivität zu deduzieren.


Nach Reinhold kommt im Bewusstsein vor Subjekt, Objekt und Vorstellung. Die letztere kommt erst im Bewusstsein vor, wenn von neuem reflektiert wird. Aber Subjekt und Objekt sind nun verschieden, sowohl beim Wirklichen oder beim Erdichteten wird das Objekt des Denkens vom Subjekt des Denkens unterschieden. Dieser allgemeine Begriff des Objekts soll hier bemerkt werden. - Dies ist nun die Anschauung des Satzes, der oben da war: Der idealen Tätigkeit muss immer etwas Reales entgegengesetzt werden, sonst ist die Anschauung nicht möglich.


Dieser soeben geschilderte Charakter des Objekts muss dem zu entwerfenden Begriff zukommen.


2) Der Stoff, aus welchem das ideal Tätige seinen Bgeriff zusammensetzt, soll das Mannigfaltige des Gefühls sein. Aber das Gefühl ist nichts Objektives, es ist nichts, das begriffen wird. Fühlen und Begreifen sind einander entgegengesetzt. Im Begriff oder in de Anschauung muss außer einander liegen, was im Gefühl eins ist. Unsere Aufgabe ist nun: Wie mag das, was Sache des Gefühl ist, Objekt einer Anschauung oder des Begreifens werden können?
 
Nota.
- Das ist der Stein des Weisen, den er uns hier zu enthüllen verspricht: Wie wird aus Sinnlichem ein Geist? Wie wird aus Singulärem ein Bezügliches, ein Geltendes?
(Später kehrt sich das Verhältnis um: Wie wird aus Vorgestelltem ein Real-Materielles?)
JE
//78// (Diese Frage ist sehr wichtig, wir kommen dadurch zum eigentlichen Objekt, zum NichtIch und zur Beschreibung der Art und Weise, wie das NichtIch entworfen wird.
 
Unsere Frage könnte auch so heißen: Wie kommt das Ich dazu, aus sich heraus zu gehen? Diese Frage macht eigentlich den Charakter der Wissenschaftslehre aus. Die Lehre von der produktiven Einbildungskraft wird hier eine neue Klarheit und Festigkeit erlangen. Die gesamte Sinnenwelt wird durch sie hervorgebracht nach ihren bestimmten Gesetzen.)
 
Unmittelbar ist das Gefühl Gegenstand der Anschauung nicht, auch kann das Gefühl nicht willkürlich erneuert werden, wie die Vorstellung eines Objekts erneuert werden kann: Ein Gefühl ist kein Ding, kein zu Konstruierendes, das beschrieben werden kann. Es ist ein Zustand; es ist kein Substanzielles, sondern ein Akzidens einer Substanz. Aber das Gefühl scheint mit dem Objekt ganz verknüpft zu sein, es kann nicht gefühlt werden, ohne es auf ein Objekt zu beziehen. Dies muss einen Grund haben, und wir werden den Zusammenhang zwischen Gefühl und Objekt aufsuchen.
 
3. Auf dem Punkt, auf welchem wir gestanden haben, bin ich beschränkt, d. h. es ist keine Anschauung meiner Tätigkeit möglich. Mit dieser Beschränkung ist nun Gefühl unmittelbar verknüpft. Was ist denn nun beschränkt? Ich bin bloß beschränkt, in wiefern ich gehe auf reale Tätigkeit, also bloß die reale Tätigkeit ist beschränkt, aber nicht die ideale. Sollte also noch etwas Weiteres folgen, so müsste es durch die ideale Tätigkeit geschehen.
 
Hier ist der Punkt, wo ideale und reale Tätigkeit sich trennen und wo eine nur beschrieben werden kann, indem man sie auf die andere bezieht, denn beide stehen im Wechsel. - Im Gefühle kommt das ganze unzerteilte Ich vor; sehen können wir das Ich nicht, aber fühlen.
 
Die ideale Tätigkeit kann sich weiter ausdehnen, wurde eben gesagt, dies heißt mit Freiheit und mit Selbsttätigkeit, welches der Charakter des Ich ist. So äußert sich die Tätigkeit des Ich im Gefühl nicht, denn das Gefühl soll erst durch die Beschränkung zum Gefühl geworden sein.
 
//79// Die Intelligenz geht auf etwas von ihr Unabhängiges; sie soll sich äußern; wie und aus welchem Grunde? Aus keinem, sie ist absoluten Tätigkeit des Ich, sie muss sich äußern, sobald die Bedingung ihrer Möglichkeit eintritt, und dies ist der Fall, wo die reale Tätigkeit gehemmt ist.
Nota I. 
- Es kann nicht gefühlt werden, ohne das Gefühl auf ein Objekt zu beziehen. - Sehen können wir das Ich nicht, aber fühlen. Andersrum: Weil das Ich fühlen, müssen wir dieses Gefühl auf ein Objekt beziehen. Nur so und nicht anders wissen wir von unserm Ich. 
Nota II.
- Erst hier fällt es auf: In der bisherigen Darstellung war die Unterscheidung zwischen realer und idealer Tätigkeit nur als faktisch gegeben vorausgesetzt; hier erst wird gezeigt, wie es zu der Scheidung kommt.
- Zur Terminologie noch dies: Intelligenz in specie ist die ideale Tätigkeit - sofern angeschaut und reflektiert wird; die reale Tätigkeit ist praktisch: tatsächlich einbildend.
JE
 
Die Natur des Ich ist ein Trieb, wir können also die ideale Tätigkeit erklären aus einem Trieb zur Reflexion, auch Trieb nach einem Objekte oder Sachtrieb, welcher vorausgesetzt werden muss, um die ideale Tätigkeit zu erklä-ren. Ein solcher Trieb kann nicht gefühlt werden, denn ein Trieb kann nur gefühlt werden, in wiefern er nicht befriedigt wird. Aber der Reflexionstrieb wird allenthalben befriedigt. Man muss ihn sorgfältig unterscheiden von den Triebe nach reeller Tätigkeit, welcher oft nicht befriedigt wird.
 
Es wird also angeschaut, weil angeschaut wird.
Nota. 
- Auch hier heißt es nicht: Es gibt im Menschen einen Trieb zur Reflexion, darum muss er anschauen. Sondern andersrum: Real ist Tätigkeit. Wir schließen daraus auf ein tätiges Ich, dessen Sein muss als Trieb vorgestellt werden, der sich als Tätigkeit realisiert. Die Tätigkeit stößt auf einen Widerstand, dabei bleibt ein Quantum Tätigkeit am Widerstand hängen, den es als Objekt anschaut. Diesen gebundenen Teil der Tätigkeit nennen wir Reflexions-, Objekt- oder Sachtrieb.
JE

4) Es kommt der idealen Tätigkeit der Charakter der Freiheit der Tätigkeit zu, da das Gefühl im Gegenteil ein Leiden ist. Aber die ideale Tätigkeit ist oben erklärt worden als gebunden. Was ist das nur für eine Freiheit, die dabei gedacht wird? Es ist ein eigentliches Tun, ein Hervorbringen eines Neuen, das erst durch diese Tätigkeit wird. Die Gebunden- heit der idealen Tätigkeit wird darin bestehen, dass sie nicht unbedingt frei ist, sondern sich nach gewissen Gesetzen richten muss.
 
Der Charakter der Freiheit kann der idealen Tätigkeit nicht zukommen, außer in wiefern das Ich sich diese Tätigkeit zuschreibt. Dieses geschieht durch Gegensatz eines nicht freien Zustandes - des Gefühls. Wenn daher die ideale Tätigkeit gesetzt würde als ein Losreißen aus dem leidenden Zustande des Gefühls, so wäre der Gegensatz und das Vereinigungsband zwischen Gefühl und Anschauung da. Anschauung ohne Gefühl wäre nicht da, und aus dem Gefühl müsste notwendig Anschauung folgen.
Wir hätten hier in einer weiteren Bestimmung den Satz wieder: Ideale und reale Tätigkeit sind nichts ohne einander. Hier heißt es: Gefühl und Anschauung sind nicht ohne einander. Gefühl ist etwas Reales, Anschauung etwas Ideales. 

Wir hätten nun auch den Vorteil, dass das Ge-//80//fühl aus dem System des menschlichen Geistes nicht verloren- ginge, sondern dass es notwendig mit demselben verknüpft wäre und einen notwendigen Bestandteil desselbe aus- machte. Jeder Punkt, der aufgestellt worden ist, muss mit dem Ganzen verflochten sein. Dies findet sich nun hier bei der Anschauung, sie ist nicht möglich, wenn nicht ein Gefühl mitgesetzt wird.
 
Wir erhielten also das Resultat:
 
Keine Anschauung ohne Gefühl und kein Gefühl ohne Anschauung. Beide waren synthetisch vereinigt und wechsel- seitig durch einander bestimmbar. Anschauung ist nichts, außer in wiefern ihr ein Gefühl entgegengesetzt wird. Der Übergang vom Gefühl zur Anschauung ist der: Sobald die ideale Tätigkeit sich äußern kann, äußert sie sich, und so- bald ein Gefühl da ist, kann sie sich äußern; also äußert sie sich.
Nota.
 - Eine streng streng idealistische - und streng kritizistische - Philosophie kann den Geist gar nicht in einen Gegensatz zur Sinnlichkeit setzen, sie muss jene vielmehr als dessen dialektische Bedingung auffassen; d. h. in einem Gegensatz nur, insofern er überwunden ist. Sie ist monistisch, freilich nicht in einem ontologischen, son-dern in transzendentalem Sinn.
JE

5) Dass es so sein müsste, wie beschrieben worden ist, war aus der Beschreibung selbst hervorgegangen. Soll nämlich eine freie Handlung des Ich, praktische Tätigkeit, gesetzt werden, so muss Gefühl sein; das Gefühl hat aber keinen anderen Einfluss in die übrigen Operationen der Vernunft, wenn es nicht gesetzt wird. Aber es kann nicht gesetzt werden außer durch Gegensatz mit der Anschauung. Die Hauptfrage ist nun, wie beide in Gegensatz und in Bezie- hung gesetzt werden; in welchem Akte des Gemüts sie verglichen werden? (Das Gefühl sei - A, die Anschauung - B, nun muss es ein Drittes - C geben, in welchem Gefühl und Anschauung, A und B vereinigt sind.)

Mit der Anschauung ist selbst ein Gefühl unmittelbar verknüpft, die Beziehung der Anschauung auf mich. Das, wodurch sie meine Anschauung wird, ist selbst ein Gefühl. Warum, könnte man fragen, erscheinen mir meine Gedanken, Anschauungen etc. nicht als Bewegung eines Fremden außer mir? Diese Frage ist wichtig. (Die Kantische Synthesis der reinen Apperzeption erhebt sich dazu nicht.) 


Das Setzen meiner selbst liegt gewissen Dingen zu Grunde, ist mit ihnen vereinigt. Das Setzen meiner selbst bei der Anschauung ist ein Gefühl von mir selbst. Im Gefühl von mir selbst ist offenbar nicht anderes vorhanden, als auch ein Gefühl, ich fühle mich und fühle mich als beschränkt. Ich fühle //81// mich, und indem ich fühle, schaue ich nicht an und denke nicht, ich bin dann nur für mich in [dem] und durch das Gefühl.

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