S. 61 - 70

//61// Die Frage, wie die Objekte, die außer uns sein sollen, zugleich in uns sein sollen, beantwortet die Wissenschaftslehre so: wenn das, was außer uns sein soll, mit dem verknüpft ist, was unmittelbar Objekt des Bewusstseins ist, und dies ist alles Tätige und Freie in uns. Nur meiner Tätigkeit kann ich mit bewusst werden, aber ich kann mir derselben nur bewusst werden als einer beschränkten.

Der Kantische Satz: Unsere Begriffe beziehen sich nur auf Objekte der Erfahrung, erhält in der Wissenschaftslehre die höhere Bestimmung: Die Erfahrung bezieht sich auf Handeln, die Begriffe entstehen durch Handeln und sind nur um des Handelns willen da, nur das Handeln ist absolut.
 
Kant wird nicht sagen, die Erfahrung sei absolut, er dringt auf den Primat der praktischen Vernunft, nur hat er das Praktische nicht entscheidend zur Quelle des Theoretischen gemacht. In einem neueren Aufsatze der Berliner Monatsschrift: Über den vornehmen Ton..." hat er sich erklärt, dass die Freiheit das Höchste sei.
 
Die Philosophie desjenigen, welcher behauptet, dass der Mensch vorstellend ohne Handeln sei, ist bodenlos. Hier wird es recht klar, was es heißt: Das Ich sieht die Welt in sich; oder: Gibt es keine praktische, so gibt es auch keine ideale Tätigkeit; gibt es kein Handeln, so gibts auch kein Vorstellen.
Nota.
- Kurz, der Zweckbegriff ist die Grundform des Begriffs; alle andern sind Abstraktionformen. Oder Auch: Begriff ist Absicht.
JE

3. In der allein anschaubaren und in dieser Hinsicht [allein] wirklichen Handlung liegt zweierlei: Freiheit und Beschränkung. Tätigkeit und Aufgehobenheit der Tätigkeit, und zwar beide in jedem Momente des Handelns vereinigt.

Es wird sich finden, dass jene Beschränktheit des Handelns zu einem NichIch führt, zwar nicht auf ein an sich Vor- handenes, sondern auf etwas, das durch die Intelligenz notwendig gesetzt werden muss, um jene Beschränktheit zu erklären. Es dürfte sich auch im Einzelnen ergeben, dass alle mögliche Wirklichkeit, die es geben kann, aus einem Wirklichen entstehe.  Der Urgrund alles Wirklichen ist daher die Wechselwirkung oder Vereinigung des Ich und NichtIch. Das NichtIch ist sonach nichts Wirkliches, wenn es sich nicht auf ein Handeln des Ich bezieht, denn nur durch diese Bedingung und Mittel wird es Objekt des Bewusstseins. Da-durch wird nun das Ding an sich für immer aufgehoben.

So ists auch mit dem //62// Ich; das Ich kommt im Bewusstsein nur in Beziehung auf ein NichtIch vor. Das Ich soll sich setzen, es kann dies aber nur im Handeln; Handeln ist aber eine Beziehung auf ein NichtIch. Das Ich ist nur in sofern etwas, als es mit der Welt in Wechselwirkung steht, in dieser Verbindung kommen beide vor.

Hinterher, wenn man sie gefunden hat, kann man sie trennen, aber jedes, wenn es abgesondert betrachtet wird, erhält seinen ursprünglichen Charakter; jedes wir nur in Beziehung auf das andere vorgestellt. 

Hierin dient nun die Wissenschaftslehre der Kantischen Philosophie zur Erläuterung und tieferen Begründung. Kant wollte auch nichts wissen von einem NichIch ohne Ich und umgekehrt; beide sind kritischer Idealismus und unterscheiden sich dadurch von aller vorkantischen Philosophie.

Der kritische Idealismus ist kein Materialismus oder Dogmatismus. Kein Materialismus, der von Dingen ausgeht, kein Idealismus, der von einem Geiste als Substanz ausgeht. Kein Dualismus, der vom Geist und von Dingen an sich als abgesonderten Substanzen ausgeht. Der kritische Idealismus geht aus von ihrer Wechselwirkung als solcher, oder als Akzidenz beider (Substanz und Akzidenz sind Formen unseres Denkens.) Dadurch wird er der Notwendigkeit überhoben, eines von beiden zu leugnen. Der Materialismus leugnet das Geistige, der Idealismus die Materie. 
 
Dieses System hat auch nicht die unauflösliche Aufgabe, zu vereinigen, was nicht zu vereinigen ist, nachdem es einmal getrennt worden, wie der Dualismus; es findet beide vereinigt.
 
Auf diese Wechselwirkung kommt es der Wissenschaftslehre vorzüglich an. (Am besten verstanden von Herrn Hof- rat Schiller in den Briefen über ästhetische Erziehung in den Horen.) Das Ich ist nur anschaubar in der Wechselwirkung mit dem NichIch. Es kann außer dieser Verbindung gedacht werden, aber dann ists nicht wirklich, es ist dann nur eine notwendige Idee. Aber das NichtIch kann nicht gedacht werden, außer in der Vernunft. Das Ich ist das Erste, das NichtIch das Zweite, drum kann man das Ich abgesondert denken, aber nicht das Nicht-Ich.
Nota. 
- Positio und negatio, Sein und Nichts haben nicht denselben (onto)logischen Rang. Man muss das eine vor dem andern denken, es lässt sich nicht umkehren. Die Passivität lässt sich erst vorstellen, nachdem die Aktivität angeschaut wurde; erst das Tun, dann das Lassen. Der kritische Idealismus geht aus von der Anschauung des Handelns; erst aus ihr wird auf Ich und NichtIch geschlossen: aber das Eine als vorausgehend dem Andern: Das Nichthandeln lässt sich nicht anschauen.
JE

4) Die erste Anschauung war ohne die Bestimmungen, die wir jetzt hinzugesetzt haben, nicht möglich, sie war kein //63// vollendeter Zustand des Gemüts, die erste war ein leerer Gedanke, wir hätten die erste nicht einmal zum Behuf für unsere Philosophie denken können, wenn wir das, was wir jetzt deutlich einsehen, nicht eingemischt hätten. 

§ 5 [Zusammenfassung] 

Das Bestimmbare wird der Anschauung zu einem ins Unendliche teilbaren Mannigfaltigen, weil es Objekt einer freien Wahl für die absolute Freiheit sein soll; dem Bestimmten als einem Teile desselben muss dasselbe zukommen, und darin  sind sie beide gleich. Unterschieden sind sie darin, dass in dem ersten eine bloß als möglich, das ist, durch die zwischen Entgegengesetzten schwebende Intelligenz gesetzte, in dem zweiten eine durch die an eine bestimmte Folge des Mannigfaltigen geknüpfte Intelligenz gesetzte Handlung angeschaut wird. Handlung ist Tätigkeit, der unaufhörlich widerstanden wird, und nur diese Synthesis des Widerstandes ist es, durch die eine Tätigkeit anschaubar ist.


§ 6

Dies ist nun, worin alles Bewusstsein enthalten ist, und woraus es deduziert wird, ist aufgezeigt: Das Subjektive, das sich selbst Setzende; das Objektive, die praktische Tätigkeit, und das eigentlich Objektive, das NichtIch.

Objektiv hat zwei Bedeutungen: 1., im Gegensatz mit der idealen Tätigkeit, ist es die praktische Tätigkeit; 2., im Gegensatz des ganzen Ich, ists das NichtIch.

Von nun an haben wir die Möglichkeit des bisher Aufgestellten anzugeben, und die Bedingungen dieser Mög-lichkeit vollständig aufzuzählen. Wir haben jetzt unser bestimmtes Ziel, bei dem wir ankommen müssen, wir haben schon die Vollen-//64//dung im Auge. Wenn wir dahin kommen, wo wir begreifen, dass das Ich sich selbst setze als durch sich selbst gesetzt, so ist unser System geschlossen, und dies ist der Fall beim Wollen.

Nota
 - Das ursprünglich Objektive, Wirkliche, uns Gegebene ist die Anschauung der praktischen Tätigkeit. In der Anschauung - idealen Tätigkeit - zerfällt dies Objektive seinerseits in ein Subjektives und ein Objektives; diese beiden werden lediglich gedacht. 
  - Der Gang der Wissenschaftslehre ist immer der: Zu erklären ist stets das wirklich vorgefundene vernünftige Bewusstsein. Wenn es begreiflich sein soll, so müsste es so und so entstanden sein... Nachfrage: Doch wie wäre das möglich? Die Antwort liegt im Aufzählen der Bedingungen der Möglichkeit. Eine Notwendigkeit, nämlich dass es so und so kommen musste und gar nicht anders konnte, wird gar nicht behauptet; denn dass es wirklich so gekommen ist, war ja eben der Ausgangspunkt.
JE 
Weitere Untersuchung:

1)  Im vorigen Paragraphen ist erwiesen, dass die Anschauung eines freien Handelns bedingt sei durch die Anschauung eines frei entworfenen Begriffs vom Handeln. Für die Entwerfung dieses Begriffs ist nach dem Obigen eine Sphäre gegeben, das Bestimmbare. Dieses kennen wir als ein unendlich Teilbares von möglichen Handlungen. In dem Zusammensetzen dieses Mannigfaltigen soll die praktische, inwiefern es diesen Begriff durch ideale Tätigkeit bestimmt, oder die materiale Freiheit (die Freiheit der Wahl) des Ich bestehen.

In wiefern das Ich in dieser Funktion des Begriffs ideal ist, ist es doch gebunden. Die Entwerfung des Begriffs x lässt sich nur so begreifen: Es ist der idealen Tätigkeit ein Mannigfaltiges gegeben, aus diesem setzt sie einen Begriff zusammen, sie lässt liegen, was sie will, und fasst auf, was sie will, darin besteht ihre Freiheit. Aber das Gegebene muss sie als gegeben anschauen, und darin liegt ihre Gebundenheit. 

Kurz, es ist hier ein Übergehen von Bestimmtheit zum sich Bestimmen oder zur Bestimmbarkeit. Die ideale Tätigkeit ist teils gebunden (bestimmt), teils frei. Die Freiheit ist das Bedingte und die Gebundenheit das Be-dingende; ist nichts gegeben, so kann nicht gewählt werden. So allein kann die Entwerfung des Begriffs vom Zweck gedacht werden. 

Nota.
 - Nicht ein Begriff 'von Handeln überhaupt' ist zu entwerfen, das wäre Unfug; sondern ein Begriff von diesem Handeln: indem es aus einer gegebenen Sphäre von möglichen Handlungen eine auswählt. Diese Sphäre ist 'gegeben'. Durch was, von wem? Wohl von der Einbildungkraft, was anderes kann ich mir nicht vorstellen; höchstens noch, dass in die Einbildungkraft zuvor ein Quantum Gefühl eingegangen ist, beides zusammen ergäbe eine Bestimmtheit, von der aus zum Bestimmen übergegangen würde. Doch wenn er es so meint - warum sagt er es nicht?
JE 
2) Nun fragt sich: Welches ist das Bindende, was ist es und woher? 

Wir kennen die Sphäre des Bestimmbaren noch nicht anders als unter dem Prädikate eines ins Unendliche teilbaren Mannigfaltigen. Aber ein solches ist nichts, ein solches ins Unendliche Teilbare gibt kein Anhalten, kein Bindendes, mithin keine ideale Tätigkeit und mithin auch keine Teilbarkeit ins Unendliche; mithin widerspricht sich der Begriff von Etwas, welches weiter nichts sein soll als teilbar //65// ins Unendliche. Und da dieser Begriff unter den Bedingungen des Bewusstseins vorkommt, so käme unter letzterer ein Unmögliches vor.

Es müsste sonach etwas Positives, das nicht weiter teilbar wäre, angenommen werden, um die ideale Tätigkeit des praktischen Vermögens zu erklären. Dies ist aber ein Reales, das Unteilbare müsste also unteilbar sein als Realität; als Quantität müsste es wohl teilbar sein. Nun soll die ideale Tätigkeit hier so gebunden sein: nicht, dass sie als bewegliche fortgerissen werde, sondern dass sie angehalten und fixiert werde. 

Das, was die ideale Tätigkeit fixiert, soll Stoff einer Wahl sein. Aber die Wahl kann nur mit Bewusstsein des [=von dem] Gewählten geschehen, aber es gibt kein Bewusstsein von Etwas ohne Entgegensetzung. Sonach müsste es in dieser Ansehung Zustände des Gemüts geben, die nur Einheit und Gleichheit sind, nicht aber Vielheit in eben und demselben Zustande. Es muss Grundeigenschaften geben (die nicht weiter zergliedert werden können) des Bestimmbaren, und ein Sein des Bestimmbaren.

Nota.
Die ideale Tätigkeit kann schlechthin auf nichts anderes gehen, als auf ein Handeln=eine reale Tätigkeit, der widerstanden wird. Es ist dieser Moment der Synthese von realer Tätigkeit und Widerstand, der der idealen Tätigkeit einen Halt, einen Anhalts-Punkt gibt - und insofern einen Charakter von Sein an sich trägt, das seiner-seits Tätigkeit negiert. Lassen Sie mich raten: Er wird mehr von Seiten des Widerstands herkommen, als von Seiten der Tätigkeit, oder?
JE

Alles, was auf ideale Tätigkeit sich bezieht, ist Setzen, und entweder Tätigkeit des Ich, Gebundenheit der idealen Tätigkeit; oder Sein des NichtIch, ein Gesetztsein, durch welches ein Werden und Machen negiert wird. Wenn die Möglichkeit der Entgegensetzung so abgeleitet wird, so wird der oben behaupteten Teilbarkeit nicht widersprochen, denn ich kann ja dasselbe Sein vermehren oder vermindern.

Das oben Gezeigte wird sich unten zeigen als dasjenige, was durch das unmittelbare Gefühl gegeben ist, z. B. Rot, Blau, Süß, Sauer. In diesen Gefühlen ist der Zustand des Gemüts nicht Vielheit, sondern Einheit, die Teilbarkeit findet aber dabei statt, nämlich dem Grade nach. Ich kann mehr oder minder Rotes empfingen, aber ich kann nicht sagen, wo es aufhört, rot zu sein. 


Wie ist das Setzen oder das Bewusstsein dieses Etwas möglich? Wie kommt es in das Ich?


3) Dieses Etwas und das Bewusstsein davon geht allem Handeln voraus, denn das Handeln ist dadurch bedingt. Das Gegebene ist die Sphäre alles möglichen Handelns; das Handeln //66// aber ist absolut nichts Einfaches, sondern ein Zweifaches. Es liegt gleichsam eine Ausdehnung des Selbstaffizierens und ein Widerstand, der es aufhält und zu einem Anschaubaren macht, darin. Was in der Sphäre des Bestimmbaren liegt, ist das Handeln; jedes Mögliche muss etwas dem Ich Angehöriges und etwas ihm Widerstrebendes sein.
Nota.
- Ja, Gefühl ist ein vom-Andern-affiziert-Sein. Aber das ist nur eine Worterklärung. Was ein Gefühl ist, kann man nur fühlen, nicht erklären, stimmt's?
JE

Der Charakter des Seins ist Bestimmtheit, folglich müsste hier liegen eine ursprüngliche Bestimmtheit zum Handeln überhaupt. -

- Das Ich, sobald es gesetzt ist, ist nicht frei zu handeln überhaupt, sondern nur, ob es dies oder jenes handeln will; wir bekommen hier ein notwendiges Handeln. Das Wesen des Ich ist Tätigkeit, folglich wäre hier ein Sein der Tätigkeit. Das den Begriff von seinem Willen entwerfende Ich ist gebunden, aber die Gebundenheit deutet auf ein Sein, und zwar auf ein eigentliches Sein. Das Bindende und insofern  Setzende ist dem Ich angehörig, aber das Ich ist hier praktisch (Tätigkeit), sonach ist hier ein Sein der Tätigkeit. Beide sich widersprechende Begriffe sind hier vereinigt (nämlich Sein und Tätigkeit), und diese Vereinigung wird hier betrachtet als ein Gefundenes.

Ich finde etwas, aus dem ich mein Handeln zusammensetze; in diesem liege ich selbst, also hier wird Tätigkeit gefunden. Diese Tätigkeit ist eine zurückhaltende Tätigkeit, und davon bekommt sie den Charakter des Seins; so etwas ist aber ein Trieb, ein sich selbst produzierendes Streben, das im innern dessen, dem es zugehört, gegründet ist (vide compendium p. 282); es ist Tätigkeit, die kein Handeln ist, etwas anhaltendes, die ideale Tätigkeit bestimmendes, eine immer fortdauernde Tendenz, den Widerstand zu entfernen (wie die Tendenz einer gedrückten Stahlfeder).

Nota. 
Das Ich ist frei, so oder anders zu handeln. Aber ob es überhaupt handeln will, steht ihm nicht frei. Es ist Handeln, nämlich Tätigkeit gegen einen Widerstand, aber im Zustand der δυναμις, eine Möglichkeit, der es nicht freisteht, sich zu aktualisieren, sondern es immer muss, sobald sie es kann. Das ist die Vorstellung, von der die Wissenschaftslehre, wenn auch nicht der Begriff, von dem ihre Darstellung ausging. 
Das ist, ich werde nicht müde, es zu wiederholen, eine anthropologische Prämisse. Nicht nur begründet die Wissenschaftslehre eine (die rationelle) Anthropologie, sondern sie gründet auch darin. Sie ist zirkulär, ja.
JE

Dieses Etwas ist als ein wirkliches Handeln nicht gesetzt, was also davon dem Ich angehört, ist nicht zu erklären aus einem wirklichen Selbstaffizieren. Das Ich wird hier nur gesetzt als ein Vermögen des Handelns in diesem Mannigfaltigen. Nun aber kommt dieses Vermögen hier nicht vor als ein bloßes Vermögen, als eine Mögliches im Denken, sondern als ein Anschauliches, welchem insofern der Charakter des Seins zukommt. 

Der Charakter des Seins ist Bestimmtheit, folglich müsste hier liegen ursprüngliche Bestimmtheit zum Handeln überhaupt. - 

Das Ich, sobald es gesetzt ist, ist nicht frei zu handeln überhaupt, sondern nur, ob es dies oder jenes handeln will; wir bekommen hier ein notwendiges Handeln. Das Wesen des Ich ist Tätigkeit, folglich wäre hier ein Sein der Tätigkeit. Das den Begriff von seinem Willen entwerfende Ich ist gebunden, aber die Gebundenheit deutet auf ein eigentliches Sein. Das Bindende und insofern Setzende ist dem Ich angehörig, aber das Ich ist hier praktisch (Tätigkeit), sonach ist hier ein Sein der Tätigkeit. Beide sich widersprechende Begriffe sind hier vereinigt (nämlich Sein und Tätigkeit), und diese Vereinigung wird hier betrachtet als ein Gefundenes.
Nota.
Sein ist Bestimmtheit. (Tätigkeit ist Bestimmen.) Das 'Sein' der Tätigkeit ist Bestimmtheit zur Tätigkeit. Das Vermögen des Handelns ist zum Handeln bestimmt. Und wie immer: Das 'ist' nicht so, aber wird so vorgestellt.
JE
 
//67// Mit dem Setzen eines Triebes muss notwendig etwas die Tätigkeit Verhinderndes gesetzt werden. Denn im Triebe liegt die Notwendigkeit des Handelns; da er aber kein Handeln wird, sondern ein Trieb bleibt, so muss der Grund davon in einem andren liegen. Man kann sagen, der Grund des Triebes liegt im Subjekte, inwiefern der Grund zu einer Tätigkeit im Subjekte liegt. Aber er liegt nicht drin, in sofern er nicht Tätigkeit, sondern Trieb ist, und dadurch, dass etwas Verhinderndes da ist, wird eben die Tätigkeit aufgehoben. Wir kommen sonach aus diesem Wechselverhältnis nicht hinaus. 

4) Was wird nun aus diesem Triebe des Ich folgen? Man denke, das Ich würde nicht begrenzt, sein Trieb würde Tätigkeit, so wäre das Ich ein Selbstaffizieren und weiter nichts, das Ich wäre nicht gebunden, es wäre sonach keine ideale Tätigkeit, ideale und reale Tätigkeit fielen zusammen. So etwas können wir uns nicht denken, es wäre das Selbstbewusstsein eines gedachten Gottes (vide compendium, p. 265 die Parenthese).

Nota.
 - Denken können wir uns das wohl nicht, aber das schließt nicht aus, dass der eine oder die andere es so meinen kann; klingt der Absatz nicht wie das Psychogramm des postmodernen Ich-ganz-wichtig.
JE

Von diesem Zustand wollen wir übergehen zur Beschränktheit, jetzt kann das Ich nicht handeln, seine praktische Tätigkeit ist angehalten. Nun ist der Charakter des Ich, dass es sich idealiter setze oder anschaue; dies ist erst jetzt möglich, denn jetzt ist etwas Gehaltenes da. Es muss ein Bewusstsein des Triebes oder der Beschränktheit notwendig geben. Aus dem Triebe folgt Bewusstsein.

Wenn das Ich lauter Tätigkeit wäre und keine Beschränkung in ihm vorkäme, so könnte es sich nicht seiner Tätigkeit bewusst werden. Es kann im Ich nichts vorkommen ohne Bewusstsein, nun kommt hier der Trieb vor, folglich muss Bewusstsein desselben dasein.

Anmerkung: A) Hier teilen sich ideale und reale Tätigkeit, und die oben beschriebene Entgegensetzung beider wird möglich. Wir stehen an der Grenze des Bewusstseins, weil wir den Ursprung alles Bewusstseins sehen.

B) Ideale Tätigkeit ist nur eine gebundene; ihr unmittelbares Objekt ist die praktische [Tätigkeit], ihre Gebunden-heit hängt von der praktischen ab, diese muss ursprünglich ein Streben sein, und dies ist der Ursprung des Be-wusstseins.


5.) Was ist das nun für eine Bewusstsein, das mit dem Triebe ver-//68//knüpft werden soll? Mit dem Bewusst- sein, das wir bisher kennen, mit der Anschauung verhält es sich so: Wir erblicken in ihr Reales und Ideales getrennt; das erstere hat sein vom Idealen unabhängiges Sein, das letzte sieht nur zu. Bei dem Bewusstsein, von dem wir hier reden, kann dies der Fall nicht sein, es gibt hier kein reales Sein, es wird nicht gehandelt, sonach müsste hier Ideales und Reales zusammenfallen; das Ideale wäre hier sein eigner Gegenstand, kein unmittelbares Bewusstsein, und dieses ist ein Gefühl. Man fühlt kein Objekt, das Objekt wird angeschaut.

Jedes Objekt, sogar ein Handeln, soll etwas sein, ohne dass ich mir desselben bewusst würde. Der transzendentale Philosoph erinnert freilich, dass etwas ohne Bewusstsein nicht sein könne, aber der gemeine Menschenver- stand sieht dies nicht so an. Man unterscheidet Handeln und Bewusstsein. Ein Gefühl ist aber gar nicht, ohne dass gefühlt werde, die Reflexion ist mit dem Gefühl notwendig und unzertrennlich verbunden. Das Gefühl ist ein bloßes Setzen der Bestimmtheit des Ich.

Wir haben nun ein mittelbares Bewusstsein eines unmittelbar Materialen, welches wir bedurften. Oben suchten wir das formale [Bewusstsein], wir kamen auf ein Subjekt-Objekt, auf ein sich-selbst-Setzen. In diesem Gefühle, wie sich weiter unten zeigen wird, kommen Ich und NichtIch zusammen vor, und zwar nicht lediglich zufolge der Selbstbestimmung, sondern in einem Gefühle.

Im Gefühle ist Tätigkeit und und Leiden vereinigt; in wiefern das erste vorkommt, hat es Beziehung auf das Ich; in wiefern aber das zweite vorkommt, auf ein NichtIch, aber im Ich wird es gefunden, das Gefühl ist faktisch das erste Ursprüngliche. - 

Man sieht hier schon, wie alles im Ich vorkommen kann und dass man nicht aus dem Ich herauszugehen braucht. Man brauche nur eine Mannigfaltigkeit von Gefühlen anzunehmen, und es würde sich leicht zeigen lassen, wie man die Vorstellungen von der Welt davon ableiten könnte.


Nota.
- Ich bin nicht sicher, dass ich das richtig verstehe: '...und dieses ist ein Gefüh - Zwar erscheint dem Transzendentalphilosophen das reale Objekt nur vermittelt: als Widerstand gegen die Tätigkeit des Ich; aber überhaupt erst so erscheint es dem Ich selber: "Man fühlt kein Objekt, das Objekt wird angeschaut." Das Unmittelbare für das Ich ist ein mehrfach Vermitteltes für den ('objektiven') Betrachter: die Anschauung einer Anschauung; der Widerstand ist mit der idealen Tätigkeit synthetisch vereinigt, und es ist diese Synthesis, die wiederum zum Objekt idealer Tätigkeit wird: Hier sind "Tätigkeit und Leiden vereinigt", "und dieses ist ein Gefühl". Was vorher ein Ideales war, wird hier zum Realen, Ich und NichtIch "kommen zusammen vor", das Ideale wird sich selbst zum Gegenstand. 
Das erweist sich beim näheren Hinsehen alles als weniger schwierig, als es zunächst scheint. Wirklich verwirrend ist aber dies: als Gefühl tritt dieses mehrfach Vermittelte in intime Nachbarschaft zu 'Rot, Blau, Süß und Sauer'. Das war es, was uns bislang als "unmittelbares Bewusstsein eines unmittelbar Materialen"* vorgestellt wurde: als die Grenze des Ich. Hier aber ist es eine ideale Tätigkeit, wie sie von der idealen Tätigkeit angeschaut wird.
An dieser Stelle muss ich mich wohl erinnern, dass in den Rückerinnerungen...** - aber sonst nirgends - von einem intellektuellen Gefühl die Rede war: "Es ist das unmittelbare Gefühl der Gewissheit und Notwendigkeit eines Denkens". Nur ein Denken, das von diesem Gefühl begleitet ist, kommt uns wahr vor. Insofern erscheint es allerdings als das 'faktisch erste Ursprüngliche', nämlich uns selbst. Aus der Sicht der Transzendentalphilosophie erscheint es aber als eine höchst verzwickte Angelegenheit
- Merkwürdig bleibt, dass F. seinen Sprachgebrauch an dieser Stelle nicht erläutert. 
**) Die Rückerinnerungen stammen aus derselben Zeit wie die(se) WL nova methodo
*) Das war ein Lesefehler (spät am Abend, als die Augen müde waren)! Es heißt vielmehr: "ein mittelbares Bewusstsein", und so muss es ja auch sein. Das klärt ein bisschen was auf. Aber an der Zweideutigkeit des 'Gefühls' ändert es nichts. 1. 9. 2016
JE

6. Wie ist es nun möglich, dass das Ich vor allem Handeln voraus eine Erkenntnis der Handlungsmöglichkeiten habe? Es gehört für diese Handlungsmöglichkeit ein Positives des Man-//69//nigfaltigen, wodurch das Mannigfaltige erst würde; und dass nicht weiter zergliedert werden könne und dass es Grundeigenschaften geben müsse. Das Gefühl ist eins, es ist Bestimmtheit, Beschränktheit des ganzen Ich, über die es nicht hinausgehen kann. Es ist die letzte Grenze, es kann sonach nicht weiter zergliedert und zusammengesetzt werden, das Gefühl ist schlechthin, was es ist. Das durch das Gefühl Gegebene ist die Bedingung alles Handelns der Ich, die Sphäre, aber nicht das Objekt.

Die Darstellung des Gefühls in der Sinnenwelt ist das Fühlbare und wird gesetzt als Materie. Ich kann keine Materie hervorbringen oder vernichten, ich kann nicht machen, dass sie mich anders affiziere, als sie es ihrer Natur nach tut. Entfernen oder annähern kann ich sie wohl. Das Positive soll Mannigfaltigkeit sein, weil es Gegenstand der Wahl für die Freiheit sein soll. Es müsste also mannigfaltige Gefühle geben, oder der Trieb müsste auf mannigfaltige Art affizierbar sein; welches man auch so ausdrücken könnte: Es gibt mehrere Triebe im Ich.

Diese Mannigfaltigkeit der Gefühle ist nicht zu deduzieren oder aus einem Höheren abzuleiten, denn wir stehen hier an der Grenze. Dieses Mannigfaltige ist mit dem Postulate der Freiheit postuliert. Hinterher wohl wird dieses Mannigfaltige im Triebe sich zeigen als Naturtrieb und wird aus der Natur erklärt werden; aber die Natur wird selber erst zufolge des Gefühls gesetzt.

Diese mannigfaltigen Gefühle sind völlig entgegengesetzt und haben nichts miteinander gemein, es gibt keinen Übergang von einem zum andern. Jedes Gefühl ist ein bestimmter Zustand des Ich. Sonach wäre das Ich selber eine Mannigfaltiges; aber wo bliebe dann die Identität des Ich? Das Ich soll diese Mannigfaltigkeit auf sich beziehen, es soll es als sein Mannigfaltiges ansehen, wie ist dies möglich?

Nota I.

- Die Gefühle als unmittelbare Gegenstände der Anschauung sind qualitativ, sie haben nichts miteinander gemein und gehen nicht ineinander über. Das Erlebnis, dass alle Gefühle meine sind, ist der Ursprung des empirischen Ich (welches es zu erklären gilt).
 Nota II.
- Es bleibt die Bizarrerie, dass das, was faktisch elementar ist, in der genetischen Herleitung des Transzendentalphilosophien erst als ein doppelt Vermitteltes vorkommt. Jedes Gefühl ist - sobald ich darauf merke - ein Zustand des ('ganzen') Ich. Dass 'darauf gemerkt' wird, ist nun die Bestimmtheit der idealen Tätigkeit; "Anschauung". Kann ich auf 'Rot, Blau, Süß und Sauer' so merken, dass es 'mein ganzes Ich bestimmt', so momentan es sei? Wird ein sinnliches Gefühl allein durch sozusagen muskuläre Konzentration zu einem "intellektuellen"? - Es bleibt rätselhaft.
JE

Kant beantwortet die Frage, wie das Mannigfaltige im Bewusstsein vereinigt werde, vortrefflich; aber nicht, wie das Mannigfaltige der Gefühle, da doch die Beantwortung des ersten sich auf die Beantwortung des letzten gründet. Er bezieht (vide Kritik der Urteilskraft) alle Gefühle auf Lust und Unlust, nun aber muss es zwischen der Beziehung der Gefühle auf Lust und Unlust ein Mittleres geben, wo-//70//durch diese Beziehung erst möglich werde. Um zu empfinden, ob A oder B mehr Lust gewähre, muss ich sie erst beide beisammen haben, um sie zu vergleichen. Wie bekomme ich nun beide beisammen?

Wenn man z. B. zwei Weine kostet, nicht um zu sehen, welcher von beiden besser schmeckt, sondern nur, um die Verschiedenheit des Gefühls zu wissen, so scheint eine solche Vergleichung unmöglich, denn wenn man den einen schmeckt, so schmeckt man den anderen nicht. Es ist immer nur ein Geschmack, und zum Vergleichen gehört doch zweierlei? 

Und jedermann weiß doch, dass er diese Vergleichung anstellen kann.

Man muss hier auf das Verfahren merken. Bei dem Kosten ist Tätigkeit. Man fasst seinen ganzen Sinn auf den Gegenstand, den man kostet, zusammen und konzentriert ihn auf denselben. Man bezieht dieses besondere Gefühl auf die gesamte Sinnlichkeit. So wie dies beim Kosten der ersten geschieht, so geschieht es auch beim zweiten, dadurch werden beide mit etwas Gemeinschaftlichem zusammengehalten, nämlich mit der ganzen Sensibilität, welche in beiden Momenten dieselbe bleibt.

Nota.

Beim Kosten ist Tätigkeit, nämlich reale. Der eine Wein schmeckt so, der andere so. Schon da tritt ideale Tätigkeit ein, denn um den einen so, den andern so schmecken zu können, muss ich darauf achten: Indem ich darauf merke, wie er schmeckt, muss ich alle andern Sensationen, die ich stets auch noch fühle, beiseite schieben und unbeachtet lassen.
Wie jeder Akt der Reflexion ist er im selben Maße Abstraktion. Das Vergleichen ist nun lediglich ein weiterer Abstraktionsschritt, indem der eine und der andere Geschmack auf einen idealen Gesamtzustand bezogen werden.
JE 

Es wird bei dieser Erklärung angenommen ein System der Sensibilität überhaupt, welches schlechthin vor aller Erfahrung da sei soll, welches System aber nicht als solches unmittelbar gefühlt wird, sondern vermittels dessen und in Beziehung auf dasselbe alles Besondere gefühlt wird, was gefühlt werden mag. Das Besondere ist eine Veränderung des gleichmäßigen fortdauernden Zustands des ersten.

Dass dieses Gefühl der Sensibilität nicht gefühlt wird, kommt daher: Die Sensibilität ist nichts Bestimmtes, sondern ein Bestimmbares; würde sie also nicht verändert, so würde nicht gefühlt. Man denke sich das bloße Fühlen als ideale Tätigkeit, dann steht es unter dem Gesetze der idealen Tätigkeit, welche nur im Übergehen vom Bestimmbaren zum Bestimmten etwas sein könne. So ists hier: Das besondere Gefühl ist ein Bestimmtes, als solches kann es nur vorkommen, wenn es auf ein Bestimmbares bezogen wird, und dies ist das System der Sensibilität. Sonach geschieht die Vergleichung der Gefühle nur mittelbar, jedes bestimmte Gefühl wird an das ganze System gehalten.
Nota.

- "Man denke sich das bloße Fühlen als ideale Tätigkeit..." - das klingt ein wenig überraschend. Ist das Fühlen nicht das Realste, 'Materialste'? - Reale und ideale Tätigkeit sind nicht zwei verschiedene, womöglich voneinander unabhängige Vermögen. Das Vermögen ist nur eines; lediglich je 'ein Quantum' geht auf den Widerstand selbst, das je andere Quantum auf das Fühlen des Widerstands, das eine Synthesis von Tätigkeit und Leiden ist.
Es geht in der WL nie darum, was dieses oder jenes 'ist', sondern welche Stelle es im genetischen Prozess der Bewusstwerdung von diesem oder jenem Gesichtspunkt aus jeweils einnimmt. So erscheint, was eben noch ideale Tätigkeit war, auf der nächsten Reflexionsstufe selber als ein Reales, das Gegenstand der Anschauung wird.

 JE

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen