Freitag, 9. Juni 2017

§ 7.

//S. 76//
§ 7


Die Hauptfrage ist: Wie kann das Ich, da alles sein Bewusstsein Bewusstsein freier Tätigkeit ist, sich seiner freien Tätigkeit bewusst werden. -


Wir wissen, das ich muss vor allen Dingen sich einen Begriff seiner Tätigkeit entwerfen, einen Zweckbegriff; es muss ihm ein Mannigfaltiges für die Wahl durch Freiheit gegeben werden, dies wird ihm gegeben im Gefühl. Wir hätten dem-//77//nach den materialen Teil der Frage beantwortet, nämlich dem Ich einen Stoff gegeben, aus dem es seinen Begriff entwirft. Aber der formale Teil der Frage ist noch nicht beantwortet. Wie setzt das Ich aus dem Mannigfaltigen des Gefühls den Zweckbegriff zusammen?


1) Das für die Selbstbestimmung entworfene und zu entwerfenden ist ein Begriff, sonach Objekt der idealen oder anschauenden Tätigkeit. Nun ist es der Charakter der idealen Tätigkeit, dass ihr ein von ihr unabhängiges Vorhandensein außer ihr gegeben werde; und dadurch unterscheidet sie sich vom Gefühle, in welchem Ideales und Reales eins ist. Die ideale Tätigkeit hat notwendig ein Objekt außer sich, das sie fixiert. Hier ist die Rede von einem Zweckbegriffe, hier soll das Objekt nicht gegenwärtig, in dem der Begriff entworfen wird, existieren, aber es soll doch sein etwas existieren Könnendes und zufolge des Zweckbegriffs auch existieren Sollendes. Man abstrahiere auch davon, so bleibt doch immer noch ein Objekt der Vorstellung. Wir haben hier die eigentliche Objektivität zu deduzieren.


Nach Reinhold kommt im Bewusstsein vor Subjekt, Objekt und Vorstellung. Die letztere kommt erst im Bewusstsein vor, wenn von neuem reflektiert wird. Aber Subjekt und Objekt sind nun verschieden, sowohl beim Wirklichen oder beim Erdichteten wird das Objekt des Denkens vom Subjekt des Denkens unterschieden. Dieser allgemeine Begriff des Objekts soll hier bemerkt werden. - Dies ist nun die Anschauung des Satzes, der oben da war: Der idealen Tätigkeit muss immer etwas Reales entgegengesetzt werden, sonst ist die Anschauung nicht möglich.


Dieser soeben geschilderte Charakter des Objekts muss dem zu entwerfenden Begriff zukommen.


2) Der Stoff, aus welchem das ideal Tätige seinen Bgeriff zusammensetzt, soll das Mannigfaltige des Gefühls sein. Aber das Gefühl ist nichts Objektives, es ist nichts, das begriffen wird. Fühlen und Begreifen sind einander entgegengesetzt. Im Begriff oder in de Anschauung muss außer einander liegen, was im Gefühl eins ist. Unsere Aufgabe ist nun: Wie mag das, was Sache des Gefühl ist, Objekt einer Anschauung oder des Begreifens werden können?

Nota.

 - Das ist der Stein des Weisen, den er uns hier zu enthüllen verspricht: Wie wird aus Sinnlichem ein Geist? Wie wird aus Singulärem ein Bezügliches, ein Geltendes?

(Später kehrt sich das Verhältnis um: Wie wird aus Vorgestelltem ein Real-Materielles?)
 JE
 
//78// (Diese Frage ist sehr wichtig, wir kommen dadurch zum eigentlichen Objekt, zum NichtIch und zur Beschreibung der Art und Weise, wie das NichtIch entworfen wird.
 
Unsere Frage könnte auch so heißen: Wie kommt das Ich dazu, aus sich heraus zu gehen? Diese Frage macht eigentlich den Charakter der Wissenschaftslehre aus. Die Lehre von der produktiven Einbildungskraft wird hier eine neue Klarheit und Festigkeit erlangen. Die gesamte Sinnenwelt wird durch sie hervorgebracht nach ihren bestimmten Gesetzen.)
 
Unmittelbar ist das Gefühl Gegenstand der Anschauung nicht, auch kann das Gefühl nicht willkürlich erneuert werden, wie die Vorstellung eines Objekts erneuert werden kann: Ein Gefühl ist kein Ding, kein zu Konstruierendes, das beschrieben werden kann. Es ist ein Zustand; es ist kein Substanzielles, sondern ein Akzidens einer Substanz. Aber das Gefühl scheint mit dem Objekt ganz verknüpft zu sein, es kann nicht gefühlt werden, ohne es auf ein Objekt zu beziehen. Dies muss einen Grund haben, und wir werden den Zusammenhang zwischen Gefühl und Objekt aufsuchen.
 
3. Auf dem Punkt, auf welchem wir gestanden haben, bin ich beschränkt, d. h. es ist keine Anschauung meiner Tätigkeit möglich. Mit dieser Beschränkung ist nun Gefühl unmittelbar verknüpft. Was ist denn nun beschränkt? Ich bin bloß beschränkt, in wiefern ich gehe auf reale Tätigkeit, also bloß die reale Tätigkeit ist beschränkt, aber nicht die ideale. Sollte also noch etwas Weiteres folgen, so müsste es durch die ideale Tätigkeit geschehen.
 
Hier ist der Punkt, wo ideale und reale Tätigkeit sich trennen und wo eine nur beschrieben werden kann, indem man sie auf die andere bezieht, denn beide stehen im Wechsel. - Im Gefühle kommt das ganze unzerteilte Ich vor; sehen können wir das Ich nicht, aber fühlen.
 
Die ideale Tätigkeit kann sich weiter ausdehnen, wurde eben gesagt, dies heißt mit Freiheit und mit Selbsttätigkeit, welches der Charakter des Ich ist. So äußert sich die Tätigkeit des Ich im Gefühl nicht, denn das Gefühl soll erst durch die Beschränkung zum Gefühl geworden sein.
 
//79// Die Intelligenz geht auf etwas von ihr Unabhängiges; sie soll sich äußern; wie und aus welchem Grunde? Aus keinem, sie ist absoluten Tätigkeit des Ich, sie muss sich äußern, sobald die Bedingung ihrer Möglichkeit eintritt, und dies ist der Fall, wo die reale Tätigkeit gehemmt ist.
Nota I.

 - Es kann nicht gefühlt werden, ohne das Gefühl auf ein Objekt zu beziehen. - Sehen können wir das Ich nicht, aber fühlen. Andersrum: Weil das Ich fühlen, müssen wir dieses Gefühl auf ein Objekt beziehen. Nur so und nicht anders wissen wir von unserm Ich.
Nota II.

 - Erst hier fällt es auf: In der bisherigen Darstellung war die Unterscheidung zwischen realer und idealer Tätigkeit nur als faktisch gegeben vorausgesetzt; hier erst wird gezeigt, wie es zu der Scheidung kommt.
 - Zur Terminologie noch dies: Intelligenz in specie ist die ideale Tätigkeit - sofern angeschaut und reflektiert wird; die reale Tätigkeit ist praktisch: tatsächlich einbildend. JE

 
Die Natur des Ich ist ein Trieb, wir können also die ideale Tätigkeit erklären aus einem Trieb zur Reflexion, auch Trieb nach einem Objekte oder Sachtrieb, welcher vorausgesetzt werden muss, um die ideale Tätigkeit zu erklä-ren. Ein solcher Trieb kann nicht gefühlt werden, denn ein Trieb kann nur gefühlt werden, in wiefern er nicht befriedigt wird. Aber der Reflexionstrieb wird allenthalben befriedigt. Man muss ihn sorgfältig unterscheiden von den Triebe nach reeller Tätigkeit, welcher oft nicht befriedigt wird.
Es wird also angeschaut, weil angeschaut wird.

Nota.

 - Auch hier heißt es nicht: Es gibt im Menschen einen Trieb zur Reflexion, darum muss er anschauen. Sondern andersrum: Real ist Tätigkeit. Wir schließen daraus auf ein tätiges Ich, dessen Sein muss als Trieb vorgestellt werden, der sich als Tätigkeit realisiert. Die Tätigkeit stößt auf einen Widerstand, dabei bleibt ein Quantum Tätigkeit am Widerstand hängen, den es als Objekt anschaut. Diesen gebundenen Teil der Tätigkeit nennen wir Reflexions-, Objekt- oder Sachtrieb.
JE

 
4) Es kommt der idealen Tätigkeit der Charakter der Freiheit der Tätigkeit zu, da das Gefühl im Gegenteil ein Leiden ist. Aber die ideale Tätigkeit ist oben erklärt worden als gebunden. Was ist das nur für eine Freiheit, die dabei gedacht wird? Es ist ein eigentliches Tun, ein Hervorbringen eines Neuen, das erst durch diese Tätigkeit wird. Die Gebunden- heit der idealen Tätigkeit wird darin bestehen, dass sie nicht unbedingt frei ist, sondern sich nach gewissen Gesetzen richten muss.
 
Der Charakter der Freiheit kann der idealen Tätigkeit nicht zukommen, außer in wiefern das Ich sich diese Tätigkeit zuschreibt. Dieses geschieht durch Gegensatz eines nicht freien Zustandes - des Gefühls. Wenn daher die ideale Tätigkeit gesetzt würde als ein Losreißen aus dem leidenden Zustande des Gefühls, so wäre der Gegensatz und das Vereinigungsband zwischen Gefühl und Anschauung da. Anschauung ohne Gefühl wäre nicht da, und aus dem Gefühl müsste notwendig Anschauung folgen.
Wir hätten hier in einer weiteren Bestimmung den Satz wieder: Ideale und reale Tätigkeit sind nichts ohne einander. Hier heißt es: Gefühl und Anschauung sind nicht ohne einander. Gefühl ist etwas Reales, Anschauung etwas Ideales.
 
Wir hätten nun auch den Vorteil, dass das Ge-//80//fühl aus dem System des menschlichen Geistes nicht verloren- ginge, sondern dass es notwendig mit demselben verknüpft wäre und einen notwendigen Bestandteil desselbe aus- machte. Jeder Punkt, der aufgestellt worden ist, muss mit dem Ganzen verflochten sein. Dies findet sich nun hier bei der Anschauung, sie ist nicht möglich, wenn nicht ein Gefühl mitgesetzt wird.
 
Wir erhielten also das Resultat:
 
Keine Anschauung ohne Gefühl und kein Gefühl ohne Anschauung. Beide waren synthetisch vereinigt und wechsel- seitig durch einander bestimmbar. Anschauung ist nichts, außer in wiefern ihr ein Gefühl entgegengesetzt wird. Der Übergang vom Gefühl zur Anschauung ist der: Sobald die ideale Tätigkeit sich äußern kann, äußert sie sich, und so- bald ein Gefühl da ist, kann sie sich äußern; also äußert sie sich.
Nota.

 - Eine streng streng idealistische - und streng kritizistische - Philosophie kann den Geist gar nicht in einen Gegensatz zur Sinnlichkeit setzen, sie muss jene vielmehr als dessen dialektische Bedingung auffassen; d. h. in einem Gegensatz nur, insofern er überwunden ist. Sie ist monistisch, freilich nicht in einem ontologischen, son-dern in transzendentalem Sinn.

JE

5) Dass es so sein müsste, wie beschrieben worden ist, war aus der Beschreibung selbst hervorgegangen. Soll nämlich eine freie Handlung des Ich, praktische Tätigkeit, gesetzt werden, so muss Gefühl sein; das Gefühl hat aber keinen anderen Einfluss in die übrigen Operationen der Vernunft, wenn es nicht gesetzt wird. Aber es kann nicht gesetzt werden außer durch Gegensatz mit der Anschauung. Die Hauptfrage ist nun, wie beide in Gegensatz und in Bezie- hung gesetzt werden; in welchem Akte des Gemüts sie verglichen werden? (Das Gefühl sei - A, die Anschauung - B, nun muss es ein Drittes - C geben, in welchem Gefühl und Anschauung, A und B vereinigt sind.)

Mit der Anschauung ist selbst ein Gefühl unmittelbar verknüpft, die Beziehung der Anschauung auf mich. Das, wodurch sie meine Anschauung wird, ist selbst ein Gefühl. Warum, könnte man fragen, erscheinen mir meine Gedanken, Anschauungen etc. nicht als Bewegung eines Fremden außer mir? Diese Frage ist wichtig. (Die Kantische Synthesis der reinen Apperzeption erhebt sich dazu nicht.) 


Das Setzen meiner selbst liegt gewissen Dingen zu Grunde, ist mit ihnen vereinigt. Das Setzen meiner selbst bei der Anschauung ist ein Gefühl von mir selbst. Im Gefühl von mir selbst ist offenbar nicht anderes vorhanden, als auch ein Gefühl, ich fühle mich und fühle mich als beschränkt. Ich fühle //81// mich, und indem ich fühle, schaue ich nicht an und denke nicht, ich bin dann nur für mich in [dem] und durch das Gefühl.


Aus dieser Beschränktheit des Gefühls reiße ich mich los durch ideale Tätigkeit, aber das losreißende Ich ist das, was beschränkt ist. Auf die Weise, wie ich beschränkt bin für mich, muss ich auch das Losreißende sein für mich. Also das Selbstbewusstsein ist das C, in welchem beides aneinander gehalten wird. Nur durch das fort-dauernde Gefühl meiner selbst werden Gefühl und Anschauung synthetisch vereinigt.
Nota.
 - Das Selbstgefühl ist offenbar noch kein Selbstbewusstsein. Es wird weiterer Anschauung = idealer Tätigkeit bedürfen, um dahin zu kommen; aber es ist seine Bedingung. Das ist nicht psychologisch gemeint, etwa als Grundlage der Persönlichkeit. Sondern in transzendentalem Sinn ist Sinnlichkeit die genetische Vor-aussetzung der Vernunft.
JE

Das Anschauen als solches wird nicht gefühlt, sondern das Übergehen von der Beschränktheit zur Anschauung. Die Selbstbestimmung zur Anschauung, welche aus der Reflexion des Ich hervorgeht.
6) Was kann nun in der Anschauung vorkommen? Was ist in der Anschauung Materie? Es ist keine Anschauung möglich, ohne dass die praktische Tätigkeit beschränkt und von der idealen getrennt sei. Hier ist die praktische Tätigkeit aufgehoben, da aber zu dem Ich die praktische Tätigkeit mitgehört, so muss die ideale Tätigkeit sich auf ein Objekt beziehen.
 
Ich fühle in der Anschauung mich bloß tätig; das dem Anschauen Entgegengesetzte muss außer mir gesetzt werden und wird sonach zum NichtIch, zu einem nur Begrenzenden. Dass es ein NichtIch sei, sehen wir nur hier von dem philosophischen Gesichtspunkte, es ist bloß ein Begrenzendes. Das Ich ist nicht aus sich selbst heraus- gegangen. Meine eigene Beschränktheit ist es, welche angeschaut wird, aber sie wird nicht angeschaut als die Meinige, sie wird nicht auf mich bezogen. Ich bin das gefühlte Subjekt der Anschauung, und qualis talis (als solches) tätig. DieBeschränktheit ist das, wodurch die ideale Tätigkeit ideale Tätigkeit wird.
 
In der Anschauung bin ich nicht das Angeschaute, nicht das Objekt, sondern das Subjekt der Anschauung. Das Anschauen [ist], im Gegensatz mit dem Gefühl,  Tätigkeit. Mit dem Anschauen ist Selbstgefühl verknüpft. Im Anschauen fühle ich mich als tätig. Was ist nun das Objekt? Es ist nichts anderes als das Gefühl selbst, das Gefühl meiner Beschränktheit. Aber diese Beschränktheit wird nicht gesetzt als die meinige. Das Objekt wird gesetzt außer mir, NichtIch; es ist entge-//82//gengesetzt dem Ich, aber auf dieses Entgegengesetzte wird nicht gemerkt, es wird nicht auf mich bezogen.
 
Oben wurde gesagt: Gegebensein des Stoffs für das ganze Ich ist Unsinn. Dem Ich kann nichts gegeben wer- den, es hat kein Glied, an welches das Gegebene angeknüpft werden könnte.
 
Wenn es nuun doch etwas geben soll für das Ich, so müsste es außer der allgemeinen Sphäre, in die es sich verschließt, noch eine engere haben. Das Vermögen, für welches etwas da ist, ist die Intelligenz. Diese setzt sich hintennach besonders als Ich. Die ganze Welt ist in unserer allgemeinen Sphäre, man muss ich diese eine kleinere setzen; Wenn diese nun für das Ich angesehen wird, so gibt es etwas, was außer dem Ich ist. 

Eine solche engeere Sphäre wird nun hier nachgewiesen. In der Anschauung fühlt das Ich sich nur als tätig; das Leiden des Ich wird ausgeschlossen, und so wird ein Objekt möglich.
Nota.
  - Nie zu vergessen: Die Eingangsfrage war ja die: Wie kommen wir zu der Annahme, dass unseren Vorstellungen etwas außer uns entspricht? Das ist der Terminus ad quem. Terminus a quo ist: Im Bewusstsein ist nichts als Vorstellungen, oder: Ins Ich kommt nichts, als was es in sich setzt. Dieses muss aus jenem hergeleitet, jenes muss auf dieses hingeführt werden. Der Gang ist durch beide entgegengesetzte Prämissen vorgeschrieben, er ist lediglich aufzusuchen - allerdings nicht so, wie er aus Begriffen definiert, sondern wie er in der Vorstellung wirklich hervorgebracht werden könnte.
JE

Ich fühle mich beschränkt; von dieser Beschränktheit reiße ich mich los. Das Fühlen und das Losreißen vom Gefühl geschieht in demselben ungeteilten Moment. Die ideale Tätigkeit kann nicht beschränkt werden. Wenn nun die reale beschränkt wird, so bleibt die ideale allein übrig. Dieses isolierte Handeln ist Anschauen.
Nota.

 - Das Wollen - Streben, Trieb, Einbildungskraft - ist ursprünglich eines und dasselbe. Das Quantum Energie, das im Fühlen am Objekt hängenbleibt, werden wir ipso facto als reale Tätigkeit gezeichnen, den überschießenden freien Teil nennen wir die ideale. (Wenn sie sich reflektierend selber dem Gefühl zuwendet, geschieht dies aus Freiheit.)
JE


Durch dieses Anschauen wird mein Zustand verändert. Ich werde frei und tätig, da ich im Gefühle leidend bin. Da alles Leiden aber doch bleibt, so wird es ein Objekt. Änderung in diesem Etwas muss sich bloß aus meiner Freiheit in der Anschauung erklären lassen.

Gefühl und Anschauung sind in demselben Momente und Zustand synthetisch vereinigt; dies ist ohne das andere nicht. Was Objekt des Gefühls ist, ist dasselbe, was es in der Anschauung ist auf dem philosophischen Gesichtspunkt; aber für das Ich ist es zweierlei, weil das Ich verschieden betrachtet wird. Einmal ist das Ich leidend, und dann ist es Gefühl der Beschräntheit; einmal ist es tätig, dann ist das Gefühlte Objekt. Kurz, die Anschauung ist das Gefühlte, nur bleibt es als Objekt der Anschauung kein Gefühltes, sondern ein Angeschautes, Gesehenes, nicht auf das Ich bezogen. Im Bewusstsein erst wird es wieder auf das Ich bezogen.

//83// So lässt sich auch erklären die synthetische Vereinigung der aus dem Gefühl genommenen Prädikate mit den Prädikaten, die aus der Anschauung genommen sind, welche außerdem sich nicht erklären ließen. Ich schmecke etwas Süßes und setze ein Stück Zucker; nun sage ich: Der Zucker ist süße. Hier wird das Gefühl auf einen Gegenstand der Anschauung übertragen, und beide werden in demselben Moment vereinigt

 
Das Ich wird bloß gefühlt in dieser Lage, nicht aber angeschaut. Es kommt also kein Anschauen als solches im Bewusstsein vor. Das Ich verliert sich selbst im Objekte der Anschauung. Oder, wie Kant sagt: Die Anschauung ist blind. Sonach in der Anschauung schwebt mir etwas unmittelbar vor. Ich frage nicht, woher es komme, das Objekt ist einmal da und ist schlechthin da. Dem Anschauen wird es so; nun kommt das Anschauen nicht zum Bewusstsein, mithin ist das Objekt auf dem gemeinen Gesichspunkte unmittelbar da. So kommt das Objekt unmittelbar im Bewusstsein vor. Eine Philosophie, die das leugnet, ist grundlos.  
 
Eigentlich kommen wir zum Objekte so: Es ist in uns ein Gefühl vorhanden, wir sind begrenzt; aus der Begrenztheit schließen wir auf ein Begrenzendes außer uns. Aber dies ganze Verfahren ist unmittelbar.

Nota.
 - Die Wissenschaftslehre schaut dem gemeinen Bewusstsein zu und beschreibt, wie es tatsächlich verfährt; allerdings nicht in Zeit und Raum, sondern in einem idealen Modell, wo alles zugleich geschieht, wenn auch Eines als genetisch bedingt durch das Andere. Es ist daher ganz in der Ordnung, wenn uns die eine oder andere Etappe in dieser Darstellung aus unserer eigenen Erfahrung bekannt vorkommt - sobald wir nämlich Raum und Zeit wieder hinzudenken.
An dieser Stelle erinnern wir uns an das, was Schiller den "ästhetischen Zustand" nannte: Im ästhetischen Zustand sei der Mensch "gleich Null". Die ästhetischen Qualitäten, die wir wahrnehmen, sind unmittelbar im 'Gefühl' - soweit die 'reale' Tätigkeit, die sich hier 'begrenzt' vorkommt. Hinzu tritt die 'ideale' Tätigkeit, die das Gefühl anschaut; doch an der Stelle hält sie inne - aus Freiheit: Die ideale Tätigkeit hält sich selbst zurück, mit andern Worten: der ästhetische Zustand tritt nur ein, wenn er beabsichtigt wird.
Doch im Normalfall unserer tätglichen Geschäfte fährt die ideale Tätigkeit fort.

JE

Ich finde mich beschränkt im Gefühle, aber ich kann nicht fühlen, ohne anzuschauen, und unmittelbar für die An- schauung ist das Objekt da. Hinterher kommen dergleichen Bestimmungen vor, dass das Objekt betrachtet wird als etwas auf uns Einfließendes; aber diese Bestimmungen kommen erst vor, wenn das Objekt schon da ist. 

Das Etwas, welches dem Anschauenden vorschwebt, ist hier weder Bild noch Dinge, es ist ohne alle Beziehung auf uns. Weder Bild noch Dinge, sondern beides, es wird nachher in beide geschieden, es ist der Urstoff für beide, das unbegreifliche Etws ohne Beziehung auf uns. Auch im gemeinen Bewusstsein behaupten wir, dass die Dinge unmittelbar da sind. 

Wir können hier die Anschauung noch nicht weiter charakterisieren, als dass sie sei etwas dem Ich Vorschwe- bendes und insofern NichtIch, wenn es nämlich auf das Anschauende bezogen werden könnte, nicht aber auf das ganze Ich, dass sie sei //84// etwas positiv Haltendes, dass ihr der Charakter des Seins zukomme, indem sie die gesamte Tätigkeit des Ich zur idealen macht.

Das Objekt wird nicht gefühlt, es ist bloß, indem ich anschauend bin, und im Anschauen fühle ich mich. 
Nota.
 - Da fällt mir zweierlei ein: zuerst Schillers ästhetischer Zustand, und dann, dass seit Plato das Staunen als Anfang der Philosophie gilt.
JE

7) Unsere Aufgabe ist: wie ist der Zweckbegriff möglich oder eine Anschauung, die für den Zweckbegriff wenigstens den Stoff hergebe. Die bisher erklärte Anschauung kann keine andere sein als die eines wirklichen Objekts, denn sie gründet sich auf ein Gefühl der Beschränktheit. Wie könnte nun die eines Möglichen der ersteren entgegengesetzt sein, mit was im Gefühle könnte eine solche Anschauung zusammenhängen?

Ich kann mich nicht begrenzt fühlen, ohne mich zugleich strebend zu fühlen, denn das Streben ist ja das Be- grenzte. Also das Gefühl eines Strebens, eines Dranges müsste da sein. Sonach ist das Gefühl der Begrenztheit bedingt durch das Gefühl eines Strebens, beides zusammen macht erst ein vollständiges Gefühl aus. Hierdurch erhalten wir ursprünglich eine in der Sache gegründete Verbindung Verschiedener im Ich. Woraus leicht aus einem, dem Begrenzten, das Theoretische und aus dem andern, dem Streben, das Praktische hervorginge. Da sie gleich ursprünglich verbunden sind, so werden sie in der Folge nicht zu trennen sein, und so wird der tiefste Grund gelegt: Keine Theorie ohne Praxis.
Nota.

 - In einer logischen Konstruktion aus Begriffen müsste das Streben nachträglich in die Darstellung eingeschoben werden, wie beim Taschenspielertrick. Das wäre das dogmatische Verfahren. Es wird aber genetisch das Hervorgehen dieser Vorstellung aus jener vorangegangenen hergeleitet - indem gezeigt wird, dass das neu genannte Moment - das Streben - in der Vorstellung von vornherein vorhanden war und bloß nicht darauf geachtet wurde. Nicht die Vorstellung wird aus tausenderlei Elementen zusammengesetzt, sondern die ganze Vor- stellung wird analytisch-reflektierend in ihre mannigfaltigen Momente auseinandergelegt. Das ist das dialektische Verfahren.

JE

Das Objekt der vorbeschriebnen Anschauung ist ein Begrenzendes, ein Seiendes, aber durch ein Sein wird ein ande- res verneint. Ein Begrenzendes nicht ohne Begrenzung, ein Sein nicht ohne etwas, das durch das Sein aufgehoben wird.

Der eigentliche Charakter der Anschauung kann nicht aufgehoben werden; wir haben aber einen Hang, ihn aufzu- heben, weil im gemeinen Bewusstsein nie Anschauung, sondern immer Begriffe vorkommen.

Das, was durch das Sein des Objekts aufgehoben wird, ist nicht Tätigkeit des Ich. In der Anschauung wird kein Ich gesetzt; das Ich verschwindet im Objekte. Die Anschauung geht auf das Objekt, das, was durch das Seiende ausgeschlossen //85// wird, ist auch ein Objekt, es ist das Ideal als solches Objekt der Anschauung.
 
Das Objekt der erstbeschriebnen Anschauung ist ein Begrenzendes, Begrenztheit des Ich, aber qualis talis kann sie nicht gesetzt werden, das Ich kommt nicht in der Anschauung vor. Es ist also etwas der Anschauung Vorschwebendes, ein bloßes Objekt ohne Subjekt. Diesem soll etwas entgegengesetzt werden, welches dasselbe negiert, dies ist also Objekt in der höchsten Bedeutung; etwas, worauf die ideale Tätigkeit sich bezieht, das aber nichts ist, woraus das Streben erklärt werden soll. Dies ist das Ideal.
Nota I. 
- Im gemeinen Bewusstsein kommen nur Begriffe vor, nicht aber die Anschauungen, die ihnen zu Grunde liegen. Das ist nun das primäre Spezifikum der Wissenschaftslehre: dass sie auf die Anschauung geht und nicht auf die Begriffe. Das macht das grundlegend Kritische daran aus.
Doch das gemeine Denken bestimmt bis heute die Schulphilosophie. Wo über Fichte geschrieben wird, geschieht es - sei es zustimmend, sei es ablehnend - so, als habe er seine Philosophie aus Begriffen konstruiert und als dürfe man ihn mit einem Kant oder Hegel vergleichen. Es ist gut, dass er an dieser Stelle den Unterschied deutlich ausspricht, aber viel nützen wird es nicht.
Nota II.
 - Ein sachlich Neues ist in diesem Absatz die Idee eines absoluten Objekts der Anschauung, auf das die ideale Tätigkeit abzielt, das sie aber nicht begründet; nicht begründen muss, weil sie in der Freiheit schon immer selbstbegründet ist. Die Freiheit gibt die Kraft, die Richtung weist das Absolute - das Wahre, Unbedingte, Zweck der Zwecke.JE


8. Welches ist nun der Unterschied beider Objekte, dessen, wodurch die Begrenzung, und dessen, wodurch das Streben erklärt wird? Gleich sind sie darin, dass beide Objekte der Anschauung sind; unterschieden sind sie darin, dass ersteres ein Bestimmtes, dass die ideale Tätigkeit in Verbindung des Mannigfaltigen darin gebunden ist; das letztere aber ein Bestimmbares und die ideale Tätigkeit in Verbindung des Mannigfaltigen völlig frei ist. Das erste ist nur eine Aufgabe, etwas, und zwar ein anderes, dem ersten Entgegengesetztes, zu setzen, weil durch das erste das Ich beschränkt ist. Die Gebundenheit, in wiefern sie der idealen Tätigkeit zukommt, ist in beiden gleich.

Man denke, dass, wenn auch unentschieden bleiben muss, ob das Gefühl der Begrenzung ein einfaches ist, oder ob mehrere vereinigt werden können, doch aus dem Obigen klar ist, dass jedes Gefühl der Intension nach teilbar ist, dass alles, was die Anschauung hineinlegt, gleichsam teilbar ist ins Unendliche - dass aber im ersten Falle, bei der Anschauung des Bestimmten, die Teilung nicht möglich ist, weil da die Anschauung auf ein Gegebenes geht; im zweiten Falle hingegen eine solche Teilung möglich ist und als solche im Gegensatz der ersten gesetzt werden muss. Im zweiten Falle ist eine Aufgabe, etwas bloß zu setzen, denn es ist kein Inhalt des Gefühls gegeben, es wird ein Gefühl gesucht. Wie dies gefunden werden kann, vide infra. 

Diese Anschauung ist leer, sie ist ein freies Schweben über dem Mannigfaltigen, welches das Ich nicht weiter kennt als //86// durch sein Schweben, es ist die Anschauung von einer Aufgabe, ein Objekt zu setzen. 

Der Begriff des Ideals ist eine Idee. Sie ist ein Begriff von etws, das gar nicht begriffen werden kann, z. B. der Begriff von der Unendlichkeit des Raumes. Dies scheint ein Widerspruch zu sein, welcher so gelöst wird: Vom Objekte ist kein Begriff möglich, aber von der Regel, nach welcher er durch ein Fortschreiten hervorgebracht werden müsst, z. B. der unendliche Raum; jeder Raum, der aufgefasst wird, ist endlich, wir geben daher nur Acht, wie wir es machen würden, wenn wir den unendlichen Raum auffassen wollten. Man denke sich die Regel weg, so bleibt das Suchen übrig, und das ist das Objekt der Anschauung, von dem hier geredet wird.

Nota.

 - Der unendliche Raum wird so konstruiert, dass an den je gegebenen endlichen Raum jedesmal wieder ein endlicher Raum angefügt wird. Das absolute Objekt des Strebens wird so konstruiert, dass zu jedem gegebenen Objekt der freien Wahl wieder ein nächstes Objekt der freien Wahl hinzugefügt wird. Die Idee des Endzwecks wäre also der Inbegriff aller möglichen Zweckbegriffe, die indes unendlich viele und als solche nicht bestimmbar sind. Real ist, was anschaubar ist, die Realität des Absoluten ist die Suche danach.
JE
9) Wir haben jetzt die beiden Anschauungen entgegengesetzt, wir, die wir philosophieren. Aber nun entsteht die Frage, wie das ursprüngliche Ich die Sache denken kann? Wie werden diese beiden Anschauungen durch das Ich entgegengesetzt? Im Anschauen fühlt das Ich sich bloß (vide supra). Die Anschauung geht aufs bloße Objekt. In der Anschauung des Beschränkenden fühlt das Ich sich beschränkt, in der Anschauung des Idealen fühlt das Ich sich frei. 
 
Beschränkt ist die ideale Tätigkeit immer darin, dass sie ein Objekt hat, doch ist sie ohnerachtet ihrer Beschränktheit Tätigkeit, inneres Bilden, ein Machen in sich, ein innerliches Sich-Anschauen. Im ersten Fall ist sie beschränkt in Absicht des zu entwerfenden Begriffs, im zweiten Fall ist sie ganz frei, es ist kein Objekt, keine Regel gegeben, sondern nur ein Aufgabe. So fühlt das Ich sich in der Anschauung teils beschränkt, teils frei. 
 
Aber das Ich kann sich nicht beschränkt fühlen, ohne sich auch frei zu fühlen et vice versa. Diese beiden Zustände sind nur wechselseitig durch einander bestimmbar. Beide Gefühle können nicht von einander getrennt sein. Beide Anschauungen, die des bestimmten Objekts und die des Ideals, sind notwendig mit einander vereinigt; es ist die eine ohne die andre nicht möglich.
Nota.

 - Das ist aufschlussreich für die ästhetische Betrachtung: Sie ist eine Anschauung, in der das Ich sich 'im Objekt verliert', ohne sich doch 'begrenzt' zu fühlen, denn das Gefühl der Begrenzung erwächst durch das 'Streben', im Bestimmen fortzufahren: nämlich vom Objekt einen Zweckbegriff zu entwerfen. In der ästhetischen Betrachtung jedoch weigert sich das Ich, Zweck oder Begriff zu entwerfen, und besteht darauf, das Objekt 'frei' anzuschauen, als ob es ein Ideal wäre.
- Es versteht sich, dass das keine ursprünglich Handlung des Ich sein kann, sondern erst möglich wird, wenn das (vernünftige) Bewusstsein schon ausgebildet ist. Es ist im Bildungsgang 'des Menschen' eine späte Erscheinung.

 JE
 
Wir haben als Grundzustand abgeleitet ein Gefühl, an welches alles übrige geknüpft wird. Das Gefühl ist das erste un-//87//mittelbare Objekt unsrer Reflexion. Das Ich fühlt sich, und zwar ganz. Aber das Ich ist, wie wir wissen, praktisch und ideal, welches beides jetzt erst geteilt wird vermittelst des Gefühls. Das Ich fühlt sich zuvörderst praktisch, dies ist eigentlich das unmittelbare Gefühl, in welchem Gefühl der Beschränktheit und des Strebens vereinigt ist. 
 
Aber das Ich fühlt sich ganz, also auch ideal und insofern anschauend, in welcher Anschauung nun abermals Beschränktheit und Streben vereinigt sein muss. Sonach finden sich da abermals vier Stücke: Gefühl der Beschränktheit, Gefühl des Strebens, Anschauung des bestimmten Objekts, Anschauung des Ideals. Diese vier Stück sind notwendig vereinigt, eins kann ohne das andere nicht sein. 
 
In der Zukunft werden wir sehen, dass noch mehr hinzu kommen muss.
Nota.

 - Zuerst ist da ein Gefühl, und weil das Ich strebend ist, ist es zugleich ein Gefühl der Beschränktheit und eins der Freiheit. Erst durch das Gefühl teilt sich das Ich in eine 'reale', praktische Tätigkeit und eine ideale Tätigkeit: Anschauung. Die Anschauung der praktischen Tätigkeit wird zur Anschauung eines je bestimmten Objekts, die Anschauung der idealen Tätigkeit (=der Anschauung) wird zur Anschauung der Idee, d. h. eines Suchens.

JE 

§ 7 [Zusammenfassung]
 
Mit dem Gefühle ist eine Anschauung notwendig verbunden, denn das Gefühl ist Begrenztheit; aber eine Be- grenztheit ist nichts ohne Gegensatz der Tätigkeit; aber dasjenige im Ich, was notwendige Tätigkeit bleibt, ist sein ideales Vermögen. Der Vereinigungspunkt des Gefühls und der Anschauung ist der, dass das Ich sich, indem es in realer Rücksicht sich begrenzt fühlt, sich in idealer anschauend fühlt. 
 
In wiefern die Anschauung auf die Begrenztheit geht - welche Begrenztheit dadurch, dass die Anschauung auf sie geht, bloßes Objekt ohne alle Beziehung auf ein Subjekt wird -, wird sie gefühlt als gebunden in der Darstellung des Objekts; aber ein solches Gefühl ist nicht möglich ohne ein entgegengesetztes der Freiheit. Die Anschauung wird sonach auch in anderer Rücksicht als frei gefühlt und ist in sofern Anschauung des Ideals.

Nota.

 - Das 'Wesen' des Ich ist Tätigkeit, Wollen, Streben, Trieb - nämlich Einbildungskraft; aber dies alles gedacht als an-sich-seiend. Real wird es im Moment, da es auf einen Widerstand stößt, es 'reißt sich zusammen' zum reellen Einbilden eines Objekts - "Darstellung", sagt F. an dieser Stelle; eine hilfreiche Erläuterung. (Aus dem Kreis des 'bloßen Vorstellens' treten wir nirgends heraus.)

 JE











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