Montag, 12. Juni 2017

§ 4.

//S. 51//
[§ 4.]

Durch die absolute Freiheit, die eben beschrieben worden ist, bestimme ich mich zu etwas, ich setze, ich habe in der Bestimmtheit einen Begriff. Es wird nur nach einem Begriff gehandelt, ich handle dann frei, wenn ich nur selbsttätig einen Begriff entwerfe. – Es ist uns hier aber um die klare Einsicht der Gründe zu tun.
 
//52// 1) Das bloße Selbstaffizieren wurde im vorigen Paragraphen als reale Tätigkeit aufgefasst, sie wurde nun angeschaut, in ihr lag der eigentliche Akt der realen Tätigkeit. Nun soll die reale Tätigkeit dem Ich in diesem Selbstaffizieren zusehen, aber das kann sie nicht, so wie wir sie bisher kennen. Nur als ein Übergehen von Bestimmbarkeit zur Bestimmtheit konnte diese Tätigkeit gesehen werden. Nicht Selbstaffektion, sondern Bestimmbarkeit und Bestimmtheit, und beide zugleich. Das Bestimmte lässt sich nur so erkennen, dass es das Bestimmbare nicht ist. –

Das Bestimmte muss anschaubar sein, denn nur unter der Bedingung seiner Anschaubarkeit ist Freiheit möglich, welche Bedingung des Bewusstseins ist.

Aber die ideale Tätigkeit ist ihrem Charakter nach gebunden und gehalten; nur einer realen nachgehend. Dieser idealen Tätigkeit muss etwas entgegengesetzt sein, von der sie gehalten werde, dies ist ein Reelles und insofern etwas Bestimmtes. (Wie das Bestimmte zu Etwas werde, gehört noch nicht hierher.) Dieses Etwas heiße x, es bedeutet ein Sein, welches die ideale Tätigkeit bloß nachmacht, etwas, was die eigentliche Tätigkeit vernichtet. 

Es wird sich zeigen, dass dies Sein in einem anderen Sinne müsse genommen werden, als das, welches die reelle Tätigkeit aufhebt. Wir werden zwei Bedeutungen von Sein erhalten; das, wovon wir hier reden, wird sich zeigen als ein Begriff vom Zwecke.
Nota.
 - Was die reale Tätigkeit aufhebt und vernichtet, ist das NichtIch, ein totes Sein, eine negative Größe. Hier wurde aber gesucht: das, was der idealen Tätigkeit entgegengesetzt wird, um sie als diese zu bestimmen; was sie nicht aufhebt und vernichtet, sondern im Gegenteil hält: das Was der Bestimmung. Dieses ist nun selber kein Reales, keine Tätigkeit, sondern ein bloß Gedachtes, Noumenon, nämlich der Begriff von diesem Zweck. Der ist völlig 'in Ruhe', ist ein Sein ganz neuer, ganz eigener Art.
JE

Das Ich bestimmt sich selbst. Das Wörtchen selbst bezieht sich auf es. Es bestimmt sich, aber indem es sich bestimmt, hat es sich schon; das sich Bestimmen soll, muss sich selbst haben, und was sich selbst hat, ist eine Intelligenz.

2) Dieses x ist nun selbst das Produkt der absoluten Freiheit, d. h. teils, dass überhaupt etwas in dieser Verbindung des Bewusstseins da ist, teils, dass es gerade x und nicht (-x) ist, davon soll der Grund in der Selbsttätigkeit liegen.

(Das Wort Grund muss hier sofern erklärt werden, dass der Sinn deutlich wird; weiter unten wird deduziert, was Grund sei.)

Die ideale Tätigkeit ist gebunden, teils, dass sie für ein x da ist, teils, dass es so bestimmt ist. In sofern ist die ideale Tätigkeit leidend. Es muss etwas hinzu gedacht werden, was sie binde und gerade an das x binde, das ist x nicht selbst, //53// sondern die Freiheit, diese hat x selbst hervorgebracht; dies heißt nun: Die Freiheit enthält den Grund von x. Was ists nun, welches macht, dass in unserm Fall das Begründende gesetzt wird als Ich? Das Ideale ist es, welches setzt und welches das Praktische setzt als sich selbst. Das Ideale muss so verfahren, da es nur kennt, was in ihm ist. – Es ist bildend, es muss das Praktische sonach auch setzen als bildend. Es sieht gleichsam ein Bilden in das Praktische hinein, und dies Bild ists, wodurch das Praktische dem Idealen zu sich selbst wird. Das Zuschreiben der Anschauung ist der Punkt, der es vereinigt. Nun aber ist das Praktische als frei anfangend kein Nachbilden, jenes Bild des Praktischen ist daher kein Nachbild, sondern ein Vorbild.

Das Anschauende als solches ist gebunden, es folgt nur einem anderen nach; das realiter Tätige ist absolut frei, es kann nicht folgen, es muss mit absoluter Freiheit sich einen Begriff entwerfen, dies heißt ein Zweckbegriff, ein Ideal, von dem man nicht behauptet, dass ihm etwas entspreche, sondern dass ihm zufolge etwas hervorgebracht werden soll. Wir können ein freies Handeln nur denken als ein solches, das zufolge eines freien Begriffes vom Handeln geschieht; wir schreiben also dem praktischen Vermögen Intelligenz zu. Freiheit kann nicht ohne Intelligenz gedacht werden; Freiheit kann ohne Bewusstsein nicht stattfinden. Absprechen des Bewusstseins und Absprechen der Freiheit sind eins, ebenso das Zuschreiben des Bewusstseins und Zuschreiben der Freiheit. Im Bewusstsein liegt der Grund, dass man mit Freiheit handeln kann.
Nota I.
 - An anderer Stelle mag es heißen, Freiheit sei der Grund, dass man zu Bewusstsein kommen kann: Es ist beides dasselbe. Wäre das eine Begriffsbestimmung, wäre es tautologisch und leer. Es handelt sich aber um zwei unterschiedliche Vorstellungen, und der Satz sagt nun, dass man sich die eine nicht machen kann, wenn man sich zuvor nicht die andere gemacht hat; wer auf jene verzichten will, muss auch auf diese verzichten. Das ist keine logische, sondern eine genetische, keine formale, sondern eine sachliche Aussage.
Nota II.
- Die Wissenschaftslehre handelt nicht von der Welt - und auch nicht von dem Bild, das wir uns von ihr machen: Das ist Gegenstand der reellen Wissenschaften. Sondern davon, dass und wie wir uns ein Bild der Welt machen; und warum wir so gewiss sind, dass es ein Bild von der Welt ist.
JE

Es hat sich; es ist etwas Doppeltes, das aber unzertrennbar ist. So ein unzertrennbar Doppeltes ist aber Subjektobjek- tivität, oder das Bewusstsein. Dies ist das einzige, welches ursprünglich synthetisch vereinigt ist. Alles andere wird erst synthetisch vereinigt. Ein sich Bestimmendes ist für sich, und darum schreibt man der Intelligenz Freiheit zu. 

// 54// Die Intelligenz ist unzertrennlich von dem Praktischen, aber auch die Intelligenz muss praktisch sein. Kein Bewusstsein ist ohne reale Freiheit. Die Vereinigung zwischen Intelligenz und praktischem Vermögen ist notwendiges Bewusstsein (§ 1), ist ein sich selbst idealiter Setzen. Das Ideale heiße einmal ein Setzen. Alles Setzen ist ein sich selbst Setzen und geht davon aus und wird dadurch vermittelt. 

Das Ich der bisherigen Philosophien ist ein Spiegel, nur aber sieht der Spiegel nicht, darum wird bei ihnen das Anschauen, das Sehen nicht erklärt, es wird bei ihnen nur der Begriff des Abspiegelns gesetzt. Dieser Fehler kann nur gehoben werden durch den richtigen Begriff von Ich.

Das Ich der Wissenschaftslehre ist kein Spiegel, es ist ein Auge. Alles innere Geistige hat ein äußeres Bild. Wer das Ich nicht kennt, weiß auch nicht, was ein Auge ist. In der gewöhnlichen Ansicht soll das Auge nicht sehen, etwas durch das Auge [sehen] ist ein sich selbst abspiegelnder Spiegel; das Wesen des Auges ist: ein Bild für sich sein, und ein Bild für sich sein ist das Wesen der Intelligenz. Durch sein eignes Sehen wird das erste und das letzte sich zum Bilde. Auf dem Spiegel liegt das Bild, aber es sieht es nicht. Die Intelligenz wird sich zum Bilde. Was in der Intelligenz ist, ist Bild und nicht anderes. 

Aber ein Bild bezieht sich auf ein Objekt. Wo ein Bild ist, muss etwas sein, das abgebildet wird. So ist auch die ideale Tätigkeit geschildert worden, als ein Nachmachen, ein Nachbilden. Wird ein Bewusstsein angenommen, so wird auch ein Objekt desselben angenommen. Dies kann nur Handeln des Ich sein, denn alles Handeln des Ich ist nur unmit- telbar anschaubar, alles andere nur mittelbar. Wir sehen alles in uns, wir sehen nur uns, nur als handelnd, nur als übergehend vom Bestimmbaren zum Bestimmten. 

Das Ich ist weder Intelligenz noch praktisches Vermögen, sondern beides zugleich. Wollen wir das Ich fassen, so müssen wir beides fassen; beide getrennt sind gar nichts. 

In das praktische Ich ist nun alles hineingelegt; Praxis und Anschauung dazu. Wir haben nun ein reelles Ich und die bloße Idee. Wir müssen von der Realität ausgehen, wir sehen von nun an einem wirklichen Handeln zu eines wirklichen Ich. Es ist ein wirkliches Faktum da, das Ich bestimmt sich selbst ver-// 55//möge seines Begriffs. Es ist ihm zugeschrieben praktisches Vermögen und Intelligenz.
Nota.
- Was in der Intelligenz ist, ist Bild und nicht anderes. - Wir sehen alles in uns, wir sehen nur uns, nur als handelnd, nur als übergehend vom Bestimmbaren zum Bestimmten.
Das ist die knappste Zusammenfassung der Wissenschaftslehre, die ich mir denken kann.
JE
§ 4 [Zusammenfassung ]

Die Selbstbestimmung durch Freiheit ist nur als Bestimmung zu etwas anschaubar, von welchem das sich selbst Bestimmende oder Praktische einen Begriff habe, der der Begriff vom Zweck heißt. Sonach werde dem Anschauenden das Subjekt des praktischen Vermögens zugleich zu einem Vermögen der Begriffe, so wie umgekehrt das Subjekt des Begriffs oder die Intelligenz notwendig praktisch sein muss. Beides, praktisches Vermögen und Intelligenz, ist unzertrennlich. Eins lässt sich ohne das andere nicht denken. Die Identität beider ist sonach der Charakter des Ich.
Nota.
 - Von Freiheit kann nur die Rede sein, wo es darum geht, etwas zu tun;.nämlich dieses oder etwas anderes. Das setzt voraus das Entwerfen eines Zwecks, und der muss als Begriff gefasst werden. Von Freiheit kann nur die Rede sein, wenn das Ich schlechterdings als wollend angenommen wird; als etwas tun wollend. Der Raum der Freiheit ist außer mir.
Etwas 'sein' wollen - "sich selbst verwirklichen" - oder etwas haben wollen - Äpfel oder Birnen - führt nicht ins Reich der Freiheit. Es setzt kein Ich, sondern unterhält ein zehrendes Selbst.
JE





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